Ich weiß nicht warum, aber in den letzten Jahren hat sich bei mir der Eindruck erhärtet, dass Canonical, die Firma hinter Ubuntu, nicht wirklich weiß, wo sie mit ihrem Produkt hin will bzw. was Ubuntu eigentlich werden soll. Vor allem aber scheint eine durchdachte Linie in der Entwicklung zu fehlen, der rote Faden. Kurz gesagt: Canonical fehlt der Weitblick.

Unity wird portiert – immer wieder

Unity, Canonicals selbstentwickelte Oberfläche für Ubuntu, hat schon den ein oder anderen Komplettumbau hinter sich. Meist sind diese größeren Umbauarbeiten auf die wohl etwas zu kurzsichtige Denkweise der Canonical-Verantwortlichen zurückzuführen.

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Unity Dash in Ubuntu Natty

Unity von Mutter auf Compiz portiert

Dieses Thema habe ich hier ja schon einige Male angesprochen. Canonical setzte in der frühen Unity-Phase auf Mutter als Fenstermanager, also denselben Fenstermanager, wie auch das Mutterprojekt GNOME mit deren GNOME Shell. Aufgrund der anfänglichen Performance-Probleme von Mutter, fällte man eine meiner Meinung nach fatale Entscheidung, die bis heute negative Folgen für Unity und Ubuntu hat: Man portierte Unity auf Compiz.

Erst so langsam wird deutlich, welche Probleme diese Fehlentscheidung mit sich brachte:

  • Zum einen war die Portierung selbst ein großer Aufwand, der für Monate Entwicklerressourcen beanspruchte. Es wäre wohl einfacher gewesen,  sich an der Verbesserung von Mutter zu beteiligen.
  • Weiters entfernte man sich durch diesen Schritt wieder ein Stück vom Mutterprojekt GNOME. Die anfänglichen Performanceprobleme gehören längst der Vergangenheit an und Mutter ist zwar nicht so gut konfigurierbar wie Compiz, jedoch längst nicht so fehlerbehaftet.
  • Compiz ist eine ewige Baustelle. Zwischenzeitlich wollte der Compiz-Hauptentwickler aufgrund des schlechten Zustandes von Compiz sogar das Handtuch werfen. Ubuntu ist inzwischen die einzige Linux-Distribution, die auf Compiz setzt und muss dementsprechend auch alles alleine entwickeln.

Unity 2D wird entwickelt und wieder begraben

Für Computer, die nicht über 3D-Beschleunigung verfügen, entwickelt Canonical Unity2D. Unity2D basiert im Gegensatz zum normalen Unity nicht auf Compiz und kommt ohne 3D-Beschleunigung aus. Unity2D wird erstmals mit Ubuntu-Version 11.10 automatisch mitinstalliert. Wird festgestellt, dass der Computer über keine funktionierende 3D-Beschleunigung verfügt, kommt Unity2D zum Einsatz.

Unity 2D in Ubuntu Natty

Unity2D hatte ein relativ kurzes Leben. Im Laufe des 12.10er-Entwicklungszyklus wurde Unity2D wieder aus Ubuntu entfernt. Unity kam also lediglich für 2 Ubuntu-Versionen zum Einsatz – 11.10 und 12.04. Bei letzterem handelte es sich zugegebenermaßen um ein wichtiges LTS-Release.

Als Ersatz wird die 3D-Beschleunigung seit Ubuntu 12.10 mittels llvmpipe über den Prozessor berechnet. Auch das Mutter-Projekt, die GNOME Shell, fällt auf llvmpipe zurück, sollte der Computer nicht über eine 3D-Beschleunigung verfügen. Im Endeffekt eine gute Lösung, doch die Entwicklung von Unity2D hätte man sich wohl sparen können.

Ubuntu TV – Unity für Fernseher wird vorgestellt und portiert

Anfang des Jahres wird Ubuntu TV vorgestellt. Ubuntu TV hat als Oberfläche ein angepasstes Unity an Bord, besser gesagt, ein angepasstes Unity2D. Wie wir gerade gelesen haben, wurde Unity2D aber eingestellt und somit muss nun auch Ubuntu TVs Oberfläche auf Unity (3D) portiert werden. Die Portierung der Ubuntu TV-Oberfläche wurd noch im Sommer begonnen, wird nach Phoronix aber wohl noch ein paar Monate in Anspruch nehmen.

Ubuntu TV [Bildquelle]

Unity auf Touchscreens? Nein danke!

Unity wurde also wiederholt hin- und herportiert. Was hat es gebracht? Nichts! Die Unity-Oberfläche sollte vom Grundgedanken her eigentlich auf allen möglichen Geräten gut zu bedienen sein (deswegen ja auch „Unity“). Was wir jetzt aber da haben, ist eine Oberfläche die auf Desktop-PCs und Notebooks funktioniert, auf Netbooks, sofern die noch genutzt werden, gut funktioniert und auf Smartphones und Tablets überhaupt nicht zufriedenstellend funktioniert.

Beispielhaft dafür folgendes Video, welches die Lauffähigkeit von Unity auf dem Nexus 7 zeigen soll.

Das Video finde ich ziemlich ernüchternd. Unity ist zwar lauffähig, aber nicht wirklich komfortabel nutzbar. Launcher und Dash funktionieren. Die Menüleiste ist komplett unbrauchbar, ebenso wie die Benachrichtigungsleiste rechts oben.

Microsoft hat mit Windows 8 ein wirklich gutes Tablet-Betriebssystem, Apple mit iOS sowieso. Und Android wird in nächster Zeit wohl zum Marktführer werden. Der GNOME Shell fehlen zwar ebenfall wie KDE Plasma noch angepasste Tablet-Programme – die eigentlichen Desktopoberflächen funktionieren auf Tablets aber wunderbar.

Hier ein Video zu KDEs Plasma Active 3

Und das geht mit der GNOME Shell (sorry, ein aktuelleres Video hab ich nicht gefunden)

Unity ist im derzeitigen Zustand auf verschiedenen Eingabegeräten nicht konkurrenzfähig. Ich weiß nicht, wie Mark Shuttleworth sich das vorstellt, aber bis Ubuntu 13.04 soll das Betriebssystem auf einem Nexus 7 laufen. Laufen wird es zwar, tut es ja heute schon, aber an der Bedienung wird sich in den fünf Monaten bis dahin sicherlich nicht.

Wo geht es hin mit Ubuntu?

Ich weiß es nicht. Ich kann es auch gar nicht wissen, schließlich scheint es auch Canonical nicht zu wissen. Was denkt ihr? Hat Canonical überhaupt so etwas wie einen „Plan“ für die nächsten Jahre?

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18 Kommentare

  1. „Wird festgestellt, dass der Computer über keine funktionierende 3D-Beschleunigung verfügt, kommt Unity3D zum Einsatz.“ <- Fehlerteufel?

  2. Dies Unity Zeug ist doch ziemlich egal. Wer sich auch nur eine Hauch fuer Linux interessiert verschwendet keine 5 Sekunden daran. Canonical zu unterstellen ihnen fehle die Weitsicht, weil Sie mit Ihrem default Windowmanager experimentieren, ist doch etwas…einfach. Das Einzige, was ich annehme ist, dass sobald Canonical das Geld aus dem Projekt zieht, Ubuntu von der Bildfläche verschwinden wird, aber dann nimmt man halt Debian. Hauptsache Canonical geht nicht in die Richtung von SLES um Geld zu verdienen, dann sind sie eh weg vom Fenster. Einfach abwarten und Kaffee trinken ;-).

  3. Ich war lange Ubunu-Fan, ja bis eben Unity kam. Auf Biegen und Brechen dem User einen Windowsmanager quasi aufzuzwingen fand ich äusserst unglücklich! Ich bin dazumal zu Archlinux gewechselt und habe es nicht bereut! Für Linuxanfänger empfehle ich gern Ubuntu, schon wegen der guten Hardwareunterstützung und der leichten Installation, aber lustigerweise beklagen sich die meistens Umsteiger zuerst über die grafische Benutzeroberfläche! Ich denke, dass Canonical weiter seine Daseinsberechtigung hat, nur wird meiner Meinung nach kein Wert mehr auf die bestehende Community gelegt, sondern mehr auf Quartalszahlen…

  4. Auf Biegen und Brechen dem User einen Windowsmanager quasi aufzuzwingen fand ich äusserst unglücklich!

    Was heißt aufzwingen? Du hast ja wie vorher die Möglichkeit jeden anderen Fenstermanager nachzuinstallieren.

  5. „Du hast ja wie vorher die Möglichkeit jeden anderen Fenstermanager nachzuinstallieren.“

    Das ist ja bekannt. Aber ein Linuxanfänger macht das sicher erstmal nicht. Ergo, er sitzt out of the Box vor Unity?!

  6. Naja, das kann man Canonical aber kaum vorwerfen. Irgendwas müssen sie ja standardmäßig installieren.

  7. Ja genau, und zwar das was es vor UND nach Unity gab und gibt – GNOME!

  8. Also GNOME aufzwingen?

  9. Ubuntu = Gnome 😉 Das war schon seit der ersten Version so. Also ists kein aufzwingen, sondern konsequentes weiterführen von Gnome.

  10. Es geht doch gar nicht um Unity an sich. Es geht viel mehr darum, dass sich Canonical in zig Projekte rund um Unity verstrickt, die ihnen Zeit rauben, die sie Valentins Meinung nach viel besser in Ubuntu als solches stecken könnten und das finde ich persönlich sehr plausibel.

  11. Was mir bei Canonical in letzter Zeit auffällt ist, dass sie sich schwer tun mit anderen Distributoren oder Entwicklergruppen zusammen zu arbeiten. Wenn irgendwas nicht hauptsächlich nach ihrer Nase entwickelt wird bauen sie was eigenes. Dabei achten sie dann aber auch nicht darauf, dass diese Produkte auf anderen Distributionen laufen. Sie das Softwarecenter oder auch Unity. Für Unity haben sie meines Wissens nach sehr in den gtk Libs rumgewerkelt. Diese Änderungen wurden aber nicht in den Upstream zurückgegeben bzw dort nicht akzeptiert. Das ist Canonical aber egal solange es funktioniert. Dadurch entstehen aber immer mehr „Ubuntu-Lösungen“ die nicht kompatibel sind mit dem Rest des Linux Ökosystem. Langfristig ist die Frage, was mehr Entwickler binden kann: Der Ubuntu oder der Rest. Weil ohne Entwickler wird Ubuntu ganz schnell auf der Stelle stehen. Da helfen auch nicht viele begeisterte Anwender.

  12. Canonical hat über Jahre hinweg sehr gute Arbeit geleistet. Schnell installiert und direkt funktionsfähig – welche andere Linux-Distribution machte es den Nutzern so einfach? Doch mit steigender Nutzerzahl wuchs scheinbar auch die Distanz zu den Nutzern.

    Unity ergab für Netbooks durchaus einen Sinn – wenn man den Netbook-Hype einmal freundlich betrachtet – da Gnome2 darauf nur schwerlich nutzbar war. Unity als neuer Desktop-Standard war für mich weniger verständlich. Zumal die offizielle Begründung, die Gnome-Shell sei nicht schnell genug fertig, auf mich einen etwas komischen Beigeschmack machte – hätte man doch Gnome2 ruhig noch mit einem weiteren Release ausliefern können. Stattdessen wurde etwas Halbgares in die Welt hinaus gelassen. Spätere grausame Design-Entscheidungen (globales Menü, Schließen-Knopf links, nicht-verschiebbare Leiste, etc.) machten den Eindruck, Canonical gebe sich größte Mühe, Apple zu imitieren. Diverse Cloud-Anbindungen und das aktuelle Amazon-Datenschutz-Desaster runden diesen Eindruck ab.

    Nun springen sie auch noch auf den Tablet-Zug auf…

    „Microsoft hat mit Windows 8 ein wirklich gutes Tablet-Betriebssystem[…]“

    Das mag sein, aber hat Microsoft damit auch ein gutes Desktop-System? Ich habe es noch nicht selbst getestet, aber diverse Erfahrungsberichte lassen erhebliche Zweifel aufkommen. Bei KDE kann ich nicht mitreden, aber vor allem GNOME zeigt, was die Konzentration auf Tablet-Bedienbarkeit bei einem recht guten Desktop-System anrichtet: es fühlt sich nicht mehr richtig an (Wischgesten-Sperrschirm) und wird seiner Funktionalität beraubt (Nautilus).

    Der Netbook-Hype lies glücklicherweise schnell wieder nach. Der Tablet-Hype hält leider noch an. Doch mit Android und iOS haben zwei spezialisierte Betriebssysteme eine sehr feste Stellung – Canonical wird mit zwanghaften Anpassungen eher mehr Desktop-Nutzer vergraulen als Tablet-Marktanteile gewinnen.

  13. Bei den Tablet-Anpassungen für 13.04 geht es soweit ich weiß um reine Hardware- und Performance-Details. Die Anpassungen an der Oberfläche sind dafür doch noch nicht geplant. Zumal ich diese auch nicht für so aufwändig halte. Die zwei Probleme die du nennst lassen sich sicher schnell beseitigen. Und die Touch-Anspassung Anwendungssoftware ist sicher eine heikle Frage, aber genau genommen auch nicht Aufgabe eines Distributors. Da wird man sicher darauf hoffen, dass genug Nachfrage entsteht, wenn die ersten Ubuntus richtig rund und problemlos auf Tablets laufen…

  14. Eben, die Anpassungen sind noch nicht geplant – dafür dass Unity auf allen Formfaktoren laufen sollte, finde ich das nicht so prickelnd.

    Naja, vielleicht kehrt Canonical ja doch zur GNOME Shell zurück, aber das dürfte wohl ein Traum bleiben.

  15. @Valentin: Vom Regen in die Traufe? Gnome als technischer Hintergrund wäre sicher hilfreich. Wie du schon sagst, Mutter ist da ein gutes Beispiel. Sich aber gegen das Gnome-Shell-Konzept zu stellen halte ich nach wie vor für richtig, wie die vielen unzufriedenen Nutzer der Shell zeigen. Auch wenn man mit Unity bisher keine brauchbare Alternative schaffen konnte, so würde auch ein Schritt (nicht zurück, denn die Shell war nie Standard in Ubuntu) zur Gnome-Shell nicht dazu führen, dass ich Ubuntu wieder sorglos auf dem Rechner meiner Oma installieren würde.

    Es kann natürlich auch sein, dass eine Modifikation auf Basis der Gnome-Shell der effizientere Weg wäre. Das vermag ich als Außenstehender aber nicht einzuschätzen.

    Schlussendlich bleibt ein weiterer Vorteil von Unity hier unangesprochen: Anderen Distributionen fällt es schwer, Paktete für Unity zu stricken. Somit ist es in Alleinstellungsmerkmal. Das mag dem freiheitsliebenden Endanwender nicht gefallen, aber es ist ein echter Mehrwert bei der Vermarktung. Vielleicht ist es sogar einer der entscheidenden Gründe für den technischen Hintergrund von Unity. Denn auch wenn sich das immer so leicht sagt: Dass eine Firma wie Canonical nur mit Fünfeinhalb-Monatsplänen bis zum nächsten Release arbeitet, kann ich mir nicht vorstellen.

  16. Also ich arbeite gerne mit Unity (seit Ubuntu 11.10) auf meinem Desktop-PC. Ich kann mir aber eine effektive Bedienung auf dem Tablet mit Unity (mit aktuellem Stand) nicht vorstellen. Die Gründe dafür hattest du im Prinzip ja auch im Artikel beschrieben.

    Ansonsten sehe ich ebenfalls, dass Canonical zur Zeit eine klare Linie fehlt, oder besser wie Ziel. Es gibt das schwammige Ziel es soll auf allen Geräteklassen laufen, aber ich denke es wie vieles zu unüberlegt gemacht. In dem Punkt kann ich deinem Artikel also voll zustimmen.

    Ich bleibe erstmal bei 12.04, da dort bei mir alles rund läuft und ich keine wirkliche Verbesserung beim Wechsel zu 12.10 sehen kann: WebApps brauch ich nicht und Shopping-Linsen auch nicht (hab ohnehin nur 3 Linsen installiert).

  17. Pingback: Never change a running system - im Fall von Windows 8 doch?

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