Gerüchte dazu, dass Canonical – entgegen eigener früherer Ankündigungen – nicht auf Wayland als X.org-Server-Ersatz setzen wird, gibt es schon seit einigen Monaten. Besonders die Veröffentlichung von Ubuntu für Tablets und Smartphones haben diese Gerüchte weiter angeheizt. Nun kündigt Canonical offiziell an: Nicht Wayland soll X als Display-Server ersetzen, sondern Mir. Anzeige
Mir – eine Eigenentwicklung
Laut einer Infoseite auf ubuntu.com scheint es sich bei Mir um eine Eigenentwicklung Canonicals zu handeln und weder auf X noch auf Wayland zu basieren:
We are developing a next generation display server known as Mir. A system-level component targeted as a replacement for the X window server system to unlock next-generation user experiences for devices ranging from Linux desktop to mobile devices powered by Ubuntu. This document outlines the motivation for the project, describes the high level design, summarizes the scope, and provides the roadmap of the Mir display server.
Damit entfernt sich Canonical das wiederholte Mal weiter von anderen Linux-Distributionen und setzt neben der eigenen Desktopoberfläche Unity in Zukunft auch auf einen eigenen Display-Server. Das als „Unity Next“ bezeichnete Unity der Zukunft soll auf Qt/QML basieren.
Wayland – erfüllt die Anforderungen nicht
„Warum setzt Canonical nun nicht auf Wayland?“, wird sich der ein oder andere fragen. Canonicals Aussagen dazu sind recht schwammig. Wayland scheint für die speziellen Bedürfnisse Canonicals aber einfach nicht wirklich gut geeignet zu sein.
In summary, we have not chosen Wayland/Weston as our basis for delivering a next-generation user experience as it does not fulfill our requirements completely.
Mir – derzeit nur mit freien Treibern
Momentan unterstützen lediglich die freien Grafikkartentreiber Mir, Canonical scheint sich aber in Gesprächen mit den großen Hardware-Harstellern zu befinden um Mir auch mit Closed-Source-Grafikkartentreibern lauffähig zu bekommen.
Canonical setzt sich feste Ziele, scheinbar bis Ubuntu 14.04, welches in gut einem Jahr erscheinen soll. Bis dahin soll Mir auf allen Plattformen (Smartphone, Tablet, Desktop) die Grundlage für Unity bilden. Derzeit basiert Unity für Smartphones und Tablets auf dem von Android stammenden Display-Server SurfaceFlinger.
Ob sich das ausgeht – in einem Jahr?
Meiner Meinung nach steckt sich Canonical mit der Ankündigung wirklich sehr hohe Ziele. Wie ernst man Canonicals Ankündigungen und die darin enthaltenen Zeitangaben nehmen soll, weiß ich nicht. So ganz sicher kann man sich da bei Canonical-Ankündigungen auch nie sein.
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Die Bedenken, ob sich Canonical übernimmt, teile ich. Die ehrgeizigen Entwicklungen rund um Tablet, Smartphone und TV sind nun mal eine ganz neue Hausnummer. Wäre mal interessant zu wissen, ob Canonical auch personell dementsprechend schon aufgestockt hat oder wie die Organisationsstrukturen hier genau aussehen. Ich schätze man setzt hier stark auf die Zusammenarbeit mit den Hardware-Herstellern und eventuell Telekommunikationsunternehmen. Das Beispiel Firefox OS zeigt ja, das hier einige Drittunternehmen durchaus Interesse an einem offenen System haben, um weniger auf Google und iOS angewiesen zu sein.
@dos: Canonical muss in den letzten Jahren kontinuierlich aufgestockt haben und das wohl nicht wenig. Leider dringen keine Umsatz/Gewinn-Zahlen nach außen, lediglich die Tatsache, dass die Firma immer noch rote Zahlen schreibt. Allerdings wären konkrete Zahlen wirklich interessant.
Sie haben halt ihre ganz eigene Vision für die Durchsetzung von Ubuntu im Massenmarkt – sowohl mobil als auch auf dem Desktop (Hauptziel dürfte Winodws 8 sein).
Ist zwar einerseits schade, dass sie für diese Ziele immer komplette Eigenentwicklungen gehen und sich dadurch noch mehr Produkte auf dem Markt befinden, andererseits können sie es dann komplett an ihre Wünsche anpassen (Open Source bleibt ja wenigstens alles).
Shuttleworth steckt viel Geld rein, dann soll er den Weg ruhig gehen. Niemand kann Ubuntu dann vorwerfen, sie hätten nicht alles versucht. Wenn es gelingt, dürften andere Projekte davon nur profitieren, von daher bin ich mal ganz optimistisch. Ob Mir realistische Zeitangaben zur Fertigstellung besitzt? Keine Ahnung, ich drücke ihnen aber die Daumen, denn viel hinter diesem Zeitplan sollten sie nicht landen.
Was ich aufgeschnappt habe ist, dass Canonical immer dann personell aufgestockt hat, wenn sie am Break-Even, also einer schwarzen 0, dran waren → Expansionsstrategie. Ungeprüft, kann sich jeder seine Meinung bilden.
Davon ab ist es ja nicht verkehrt, wenn es einige konkurrierende Technologien gibt. Das hält uns alle frisch und bricht auch mal verkrustete Strukturen auf. Mal sehen in welcher Art und Weise Mir frei sein wird.
Mal gerade geschaut, wenn ich es richtig sehe, sind gerade 33 Stellen bei Canonical ausgeschrieben: https://tbe.taleo.net/CH03/ats/careers/searchResults.jsp?org=CANONICAL&cws=1&act=sort&sortColumn=2&sortColumn=0
Bei Anzahl der Mitarbeiter sind „mehr als 500“ angegeben: http://www.canonical.com/about-canonical
Als Vergleich, die Mozilla Foundation hat 150 Mitarbeiter.
@dos: Interessante Infos, danke!
Bei aller Kritik, ich bin echt gespannt, was Canonical da auf die Beine stellt. Diese breite Aufstellung in den heute relevanten Marktsegmenten erscheint mir zumindest erfolgversprechender als die Fixierung auf den völlig festgefahrenen Desktop-Zweig. Sollte nun auch die technische Seite nachziehen (mein Hauptproblem mit Unity war stets die Performance), kann ich mir gut vorstellen künftig mit Unity zu arbeiten und es dann irgendwann auch auf dem Telefon zu nutzen.
Andererseits fängt Canonical andauernd von vorne an. Unity 2D ist kaum begraben, da redet man nun doch wieder von Qt als Grundlage? Sicher, QML ist noch ne ganz andere Richtung, dennoch wirkt das etwas hin und her. Eine längere Feinschliffphase halte ich für dringend notwendig. Vor allem das Ziel 14.04 klingt ja mal wieder nach LTS mit Betaqualität – das muss doch nicht sein. Warum nicht mit 14.10 beginnen und dann bis 16.04 reifen lassen?
@Sebastian: Passend dazu hab ich vor einiger Zeit etwas zusammengeschrieben: Canonical fehlt der Weitblick
Allgemein passend zum Thema ein Artikel von Dominik: Ubuntu kurz vor der Weltherrschaft
@Valentin: Dein Artikel ist mir sogar im Gedächtnis hängen geblieben, war nur zu faul ihn rauszusuchen 🙂
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Es wäre vermutlich einfacher sich an Wayland/Weston zu beteiligen und es an die eignen Anforderungen anzupassen. Statt dessen kochen die wieder ihre eigene Suppe von Grund auf neu.
Naja mir kann es egal sein, da ich andere Distributionen bevorzuge. Und dort wird verrmutlich weder das eine noch das andere im nächsten Jahr Standard werden.
@Anaximander: Höchstwahrscheinlich wird es nicht einfacher sein. Wäre etwas merkwürdig wenn eine Firma die für sie offensichtlich schlechtere Lösung wählen würde. Die werden schon die Notwendigkeit einer Eigenentwicklung begründet haben.
@Sebastian: Das ist eben die Frage. Ich bin definitiv kein Programmierer, aber ich stelle es mir einfacher vor in solch einem kurzen Zeitfenster etwas zu erweitern, und sei es als Fork, als wieder bei Null zu beginnen. Ich vermute einfach mal, dass Canonical ihre eigene Suppe kocht, weil Sie dann zu 100% bestimmen können, welche Zutaten genommen werden.
Und was ist mit den Blob-Treibern unter Mir? Bisher gibt es die meines Wissens nicht mal für Wayland/Weston. Warum sollte also z. B. Nvidia oder Valve eine Insellösung unterstützen? Ich kann mir, zumindest im Moment, nicht vorstellen, dass Mir abseits von Canonical-Distributionen/-Forks viel Verbreitung finden wird. Die meisten werden vermutlich bei X bleiben oder irgendwann zu Wayland/Weston wechseln.
Unter https://plus.google.com/100409717163242445476/posts/jDq6BAgdpkG kann man übrigens nachlesen, was der Entwickler und ein paar andere von Wayland zu der Entscheidung von Canonical zu sagen hat. Die Begründung von Canonical scheint demnach nicht ganz objektiv zu sein.
@Anaximander: Ich könnte mir durchaus vorstellen, dass wenn Mir sich als vorteilhaft für Ubuntu erweist, auch andere Distributionen Mir einsetzen. Es müsste dann halt auch für die anderen Distributionen Vorteile bieten.
Bei Wayland habe ich irgendwie von Anfang an meine Bauchschmerzen gehabt, das kann ich zwar nicht wirklich begründen (=völlig subjetiv), aber das Bauchgefühl eben. Von daher begrüße ich die Entscheidung von Canonical. Mein Wunsch an Canonical ist aber: macht es ja offen und für andere Distris Nutzbar, ganz im Sinne von Open Source. Ansonsten bin ich halt dann mal weg. 😉
@Anaximander: Das die Entwickler von Wayland nicht begeistert sind, überrascht mich nicht. 😉 Und das Canonical lieber zu 100% bestimmen möchten, wie/was entwickelt wird, kann ich verstehen. Sie stehen später auch in der Kritik wenn etwas nicht klappt, sonst niemand. Ähnlich wie bei den Linux-Treibern: der „normale“ Mensch gibt Linux die Schuld und nicht den Herstellern. So ist es eben.
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